Toxische Positivität: 
Warum die rosarote Brille keine Lösung ist (und Verletzlichkeit die bessere Wahl)


 Beschissen, und das ist noch geprahlt!höre ich meine Oma noch heute sagen, während sie auf einem Drehstuhl in der Küche sitzt und jede Menge Erdnüsse futtert. Ich habe sie liebevoll „Granny“ genannt. Wenn meine Eltern sich mal wieder (weniger liebevoll) in den Haaren hatten, bin ich ein Stockwerk tiefer in ihre Wohnung geflüchtet. 

 
Obwohl meine Oma diesen Spruch ganz oft gesagt hat, habe ich sie nicht als negative Person in Erinnerung. Eher als authentisch. Wenn es ihr nicht gut ging, hat sie es auch gesagt. Und mich  (ihr Engelchen) gebeten, ihr doch bitte beim Staubsaugen zu helfen.

Vermutlich hatte meine Granny keine Ahnung, dass ich mich 40 Jahre später an sie erinnere, während ich über „fck-positive-vibes-only" nachdenke. Anlass ist die Blogparade von Annette Schade. Sie lädt unter diesem Motto zur Reflexion darüber ein, wie es uns WIRKLICH  geht – und ob wir das auch so kommunizieren. 

Rosarote Brille

Gleich mache ich mir Gedanken, wie ICH das handhabe. Doch vorher springen wir einmal 2 Generationen weiter, zu meiner Tochter. Sie hat die  Granny leider nicht mehr kennengelernt. Wenn ich Nala frage:  „Wie gehts dir heute?“, bekomme ich nicht viel aus ihr heraus. Ihr gelangweilter, genervter oder fröhlicher Gesichtsausdruck verrät mir mehr darüber, wie es ihr wirklich geht, als ihre Worte.
 
Manchmal höre ich – natürlich rein zufällig –  mit, wenn sie mit meiner Mutter telefoniert, denn der erzählt sie interessanterweise mehr als mir.
 
Hm. Sagt meine Mutter eigentlich ehrlich, wie es ihr geht?  (Gleich haben wir alle Generationen durch 😉 )

Darauf antworte ich mal mit Nalas Worten. Wie sagte sie vor kurzem zu mir? „Mama, Oma geht es doch immer schlecht!“

Und tatsächlich fällt es mir schwer, mich an Zeiten zu erinnern, in denen es meiner Mutter einmal rundum gut ging. Auch damals nicht, als ich noch ein Kind oder Teenager war. Meine Mama ist grundsätzlich am Jammern.  

Jasmin Sabine Lotter Sonnenschein

Darf ich als Happiness Trainerin sagen, wenn es mir nicht gut geht?

Bin ich deshalb - quasi als Gegenpol oder als Anti-Skript - zu einem Mensch  geworden, dem eine positive Ausstrahlung und Grundhaltung nachgesagt wird?
 
Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. 

Was mir erst in den letzten Tagen bewusst wurde: Es fällt mir schwer, aus meiner Rolle des Sonnenscheins auszusteigen. Obwohl ich weiß, wie gesund und befreiend es ist, sich verletzlich zu zeigen, bin ich oft gehemmt.

Darf ich als Happiness Trainerin sagen, wenn es mir nicht gut geht? Wenn ich an mir zweifle? Wenn ich mir Sorgen mache, ob ich mir wirklich aus eigener Kraft ein Business aufbauen kann, mit dem ich genug Geld verdiene?

Wie verändert das das Bild der anderen Menschen von mir? Nehmen sie mich dann als schwach oder inkompetent wahr? Oder – so wie ich es umgekehrt tue, wenn jemand sich öffnet  – als stark

Verschiedene Gefühle

 

Du kannst deine Augen schließen, wenn du etwas nicht sehen willst.
 Aber du kannst dein Herz nicht verschließen, wenn du etwas nicht fühlen willst. 

 Johnny Depp

Toxische Positivität, Jammerfasten und Dankbarkeit

Fakt ist, dass ich oft für mich behalte, wie es mir wirklich geht. 

Ich rücke nur mit der Sprache heraus, wenn mich jemand wirklich und mit aufrichtigem Interesse fragt. Wie meine Freundin Nadine beispielsweise. Sie begleitet Menschen mit Vivoligero, sich leicht und frei zu fühlen.

Nadine und ich tauschen uns regelmäßig per WhatsApp aus. Auch das Thema  „toxische Positivität“  gibt uns immer wieder Gesprächsstoff.
 
Wir sind uns einig, dass es nicht gesund sein kann, den ganzen Tag zu jammern. Spätestens seit wir wiederholt an Peter Beers "Jammerfasten-Challenge" teilgenommen haben. Seitdem  wird es uns schnell bewusst, wenn wir uns zu lange im eigenen Elend suhlen.

Dankbar und achtsam zu leben hilft Nadine und mir, mit schwierigen Situationen in unserem Leben gut umzugehen. Etwas positiv zu sehen, auch wenn es mir schlecht geht, tut mir gut. Und Nadines optimistische Grundhaltung hilft mir, die Dinge in einem freundlicheren Licht zu sehen. So schöpfe ich  Hoffnung und kann vertrauen, dass alles gut ist - oder es wird.

Doch wann wird unsere Positivität toxisch? Wo ist die Grenze?

Wann fangen wir an, uns Dinge schön zu reden und unsere negativen Gefühle zu ignorieren

Nadine beschreibt es so: 

 

"Ich muss es mir nicht ausreden, wenn ich wütend bin und das mit etwas Positivem übertünchen.
 

Früher hab ich es sofort weggeschoben, wenn ich mal wütend war. Und bin irgendwann explodiert. 

 

Seit ich gelernt habe dass es auch mal da sein kann und mich damit (meinen Gefühlen) hinsetze und atme, geht es mir viel besser. 


Aber sich in den negativen Gefühlen regelrecht zu suhlen, ist genauso wenig hilfreich. 

Ich kann es annehmen und mich dann fragen, was ich daraus lernen kann. Wenn ich an der Situation nichts Gutes finde, kann ich meinen Fokus auf die anderen Dinge in meinem Leben richten, für die ich dankbar bin. 

 

Toxische Positivität wäre für mich, wenn ich es eben nicht da sein lasse. Wenn ich es sofort wegschiebe und mit sage: Ich  hab jetzt nicht wütend zu sein , das Leben ist geil und ich bin dankbar". Wenn ich mir nicht zugestehe dass ich mal einen Scheisstag habe oder es mir nicht so gut geht."

Nadine Bockstahler

Sind uns positive Menschen sympathischer? 

 Hier in Portugal lautet die Antwort auf die Frage „Como estás?“ (wie geht es dir?) immer gleich: „Mais ou menos“. (Frei übersetzt heißt das: Es geht so – nicht besonders gut, nicht besonders schlecht). Kaum jemand lässt die Hosen runter und hinter seine Fassade blicken.
 
Dadurch kommt mir eine weitere Frage in den Sinn:  Welche Menschen sind anderen eigentlich sympathischer? 
 

  •  die, die nach außen hin immer gut gelaunt sind und andere mit ihrer guten Laune anstecken (obwohl es in ihnen vielleicht gerade ganz anders aussieht?)
  • die, die sich als Opfer des Lebens sehen und tagein, tagaus über alles lamentieren und an nichts ein gutes Haar finden
  • oder die, die sich verletzlich zeigen und das nach außen tragen, was sich gerade in ihrem Inneren abspielt?

 
 Was denkst du? Schreib mir mal

Mein Fazit: 

Ich freue mich sehr  darüber, wenn jemand mit mir über seine wahren Gefühle und Gedanken spricht. Das macht ein Gespräch lebendig, authentisch, tiefgründig. Und ermutigt mich, es ebenfals zu tun. Ich merke, wie ich immer weniger Lust habe, über belanglose Dinge zu sprechen und mich immer mehr interessiert, wie unser Menschsein wirklich funktioniert. Sich verletzlich zu zeigen, mit all seinen Facetten schafft Verbundenheit und berührt mich. 

Herbstblätter in Herzform

 

"Verletzlichkeit ist zwar die Ursache von vielen Ängsten und Unsicherheiten. Doch scheinbar ist sie gleichzeitig auch der Geburtsort der Liebe, der Verbundenheit, der Freude, der Kreativität und des Glücks."

Brene Brown 

Halli hallo, ich bin Jasmin Sabine Lotter. Du lernst mit meiner Unterstützung, wie du mit Achtsamkeit, Positiver Psychologie und Tiny Habits von der Überholspur auf die Entschleunigungsspur wechselst.
Der Slowletter ist deine liebevolle Erinnerung daran, innezuhalten und dir Zeit für dein Leben zu nehmen.